Mit voller Wucht treten wir in die Pedale, nur ungern möchten wir die Prüfung gegen die aufgehende Sonne verlieren. Zu früh haben wir beim Blick aus dem Fenster in den dunklen Nachthimmel unsere Hoffnungen auf einen farbenfrohen Sonnenaufgang aufgeben und sind es fortan etwas gemütlicher angegangen. Doch nun zeichnet sich prompt ein kleiner Silberstreifen am Horizont ab – die vermeintlich geschlossene Wolkendecke hat gerade im Bereich des Sonnenaufgangs eine Lücke. Während wir in der Ferne die ersten Rosaflamingos rufen hören, ärgern wir uns, dass wir uns beim Aufstehen wegen der Wolke etwas mehr Zeit gelassen haben. Als wir bei der anvisierten Stelle keine Flamingos antreffen, gilt es die Tempo nochmals zu erhöhen. Es fühlt sich eher nach einem Velorennen anstatt nach gemütlichem Fotografieren an. Auf einmal entdecken wir einige Flamingos in einer geeigneten Lagune. Nun heisst es von möglichst schnellen und kraftvollen Tritten auf möglichst langsame Bewegungen umzustellen, damit wir unsere Motive nicht vergrämen. Zum Glück können wir uns gerade noch vor Sonnenaufgang in den Schlamm legen und auf die Flamingos warten.
Der Spalt zwischen der Wolkendecke und dem Horizont ist äusserst knapp bemessen. Dank des Einsatzes auf dem Velo können wir nun immerhin die Stimmung richtiggehend aufsaugen und während des wenigen Minuten andauernden Feuerwerks fotografieren.
Damit wir unsere Energie v.a. für die ein bis zwei täglichen Trainings aufwenden können und nicht schon vor Sonnenaufgang die erste Belastung haben, stellen wir fortan den Wecker noch etwas früher. In den nächsten Tagen macht uns jedoch v.a. der starke Wind zu schaffen: Einerseits zerstören die dadurch verursachten Wellen jegliche Spiegelungen. Andererseits verhindert er, dass sich auch nur ein Singvogel weit oben im Gebüsch exponieren würde und sein Revier singend markiert. Auch beim Velotraining macht sich der Wind bemerkbar: In eine Richtung haben wird das Gefühl über super Beine zu Verfügen und fliegen förmlich durch die Gegend. Drehen wir aber um 180°, werden wir rasch auf den Boden der Realität zurückgeholt: Die Geschwindigkeit ist nun etwa halb so hoch bei gleichem Puls…
Wir scheinen die Wahl zwischen Wind oder Stechmücken zu haben. Der grosse Vorteil der Mücken ist, dass ihre negativen Auswirkungen zum Fotografieren – anders wie bei den Wellen – nicht auf dem Bild ersichtlich sind. Deshalb wünschen wir uns möglichst viele Morgen und Abende bei denen wir den Plagegeistern Blut spenden können. Umso schöner, wenn uns dann die Flamingos für unsere Opfer entschädigen und für einmal tatsächlich im rosafarbenen Morgenlicht vorbeischreiten!
Später während unseres Aufenthalts haben wir noch einmal Glück mit der Sonne und den Motiven: Gerade rechtzeitig vor Sonnenaufgang finden wir ein paar Flamingos. Praktisch im Sekundentakt ändert sich das Licht. Für einmal sind die Motive beinahe zu zahlreich, andauernd drängt sich irgendwo noch ein Flamingo ins Bild.
Die Vegetation rund um den kleinen Tümpel lädt zum Spiel mit dem Licht der aufgehenden Sonne ein. Eine Situation, wie ich sie trotz zahlreicher Besuche bis anhin noch nicht erlebt habe in der Camargue.
Kaum erstaunlich, dass mir die Flamingos ans Herz gewachsen sind und zu meinen Lieblingsmotiven zählen! Auch wenn ich bereits etliche Wochen den Flamingos gewidmet habe, so gibt es noch viele Fotos, welche ich erst mit meiner virtuellen Kamera angefertigt habe und weiter davon träumen kann.
In der Camargue ähnlich häufig anzutreffen wie die Flamingos sind die Seidenreiher. Durch deren Kombination aus Eleganz und Häufigkeit stehen sie dementsprechend ebenfalls weit oben auf meiner Foto-Wunschliste. Mit vielen Bildideen bin ich die Anreise angetreten, habe die Rechnung jedoch ohne die nervenaufreibenden Wolken Abends gemacht: Just wenn sich die Sonne langsam dem Horizont nähert und die Landschaft in ein gelbes Licht eintaucht, hat mehrfach ein Wolkenband am Horizont für ein blasses Tagesende und leicht getrübte Stimmung gesorgt.
Die Camargue dient auch als wichtiger Rastplatz für Limikolen und andere Zugvogelarten, welche über das Mittelmeer angeflogen kommen. Nach hunderten Kilometern über dem offenen Meer sind sie dementsprechend hungrig.
Im Gegensatz zu den Schwärmen sind die Einzelvögel tendenziell zutraulicher. Befindet sich im Schwarm ein Angsthase, so fliegt mit ihm der ganze Schwarm auf. Deshalb haben wir uns umso mehr über die Steinwälzer gefreut, welche auf Steinen in der Brandung gerade am Frühstücken sind. Wir robben näher und näher an den Steinwälzer und an die Brandung heran. Je tiefer der Aufnahmewinkel ist, desto mehr des rötlich-verfärbten Himmels passt in das Bild. Spätestens als bei mir nach einer Welle Wasser aus der Gegenlichtblende heraus tropft, weiss ich, dass ich ohne Unterwassergehäuse nicht noch weiter sollte. Auch so müssen wir bei jeder hereinbrechenden Welle schnell nach oben robben um nicht klitschnass zu werden.
Die Steinwälzer lassen sich von den Wellen nicht beeindrucken: Flink springen sie jeweils auf einen höher gelegenen Stein. Bei steigendem Pegel wechseln sie an den Strand. Hier düsen sie mit dem Körperschwerpunkt leicht nach vorne gebeugt und vorfuss-laufend über den Sand. Bei dem Tempo ist es eine Herausforderung, einen bei vollem Tempo mit der Kamera aus der liegenden Position zu verfolgen.
Im Gegensatz zu den kompakten Steinwälzern nehmen es die grazilen Stelzenläufer etwas gemütlicher. Dank ihren langen Beinen und Schnäbeln können sie problemlos entlang in den Lagunen und Teichen auf Nahrungssuche gehen.
Während wir auf die Stelzenläufer warten, taucht auf einmal ein Löffler hinter dem Schilf auf. Mit seinem riesigen Löffel ist er unverkennbar. Er hält den leicht geöffneten Schnabel für die Nahrungssuche unter Wasser und rennt so – teilweise ziemlich wild – in der Gegend umher. Sobald ein Kleintier zwischen den Schnabel gelangt, schnappt er blitzschnell zu und wirft sich die Stärkung, wie im Foto ersichtlich, in den Rachen. Würde er in dem Tempo Pains aux chocolats essen, wäre die Bäckerei bald leer und er könnte bald nicht mehr abheben!
Ebenfalls auf der Suche nach Larven und Kleintieren sind die Sichler, nur dass ihr Schnabel ganz anders geformt ist. Dessen Form lässt sich leicht vom Namen ableiten, anstatt einem Löffel gleicht er einer Sichel. Damit können sie im Schlick oder Boden stochern und so die schmackhaften Larven ausfindig machen. Sie werfen die Beute ebenfalls auf, um sie vom langen Schnabel in den Rachen zu bekommen. Wir beobachten den Sichler eine Weile, bis das Licht endlich besser wird zum Fotografieren und das Gefieder des Sichlers in verschiedenen Brauntönen schillert.
Später im Gegenlicht weichen die schillernden Farben einer dunklen Silhouette. Dafür leuchtet die Wasseroberfläche goldig. Ein gelungener Abschluss des Tages, bevor wir mit dem Velo in der fortgeschrittenen Dämmerung wieder zurück zur Unterkunft fahren.
Innerhalb von sieben Tagen sind insgesamt “nur” etwas mehr als 7000 Fotos entstanden, wovon 96% mehr oder weniger direkt im Papierkorb gelandet sind. Ob unter den verbliebenen auch einige Highlights sind, ist eurem Urteil überlassen. Auch wenn ich nun bereits das fünfte Mal zum Fotografieren im Rhonedelta unterwegs gewesen bin, so ändert sich die Motivpalette und der Stil der Fotos von mal zu mal. Langweilig wird einem dadurch garantiert nicht – nur steigen die Ansprüche bei jedem Besuch und es wird immer schwieriger, neue Aufnahmen zu kreieren.
2 Comments
Ich finde die Fotos auch wunderbar, wirklich wunderbar!
Ich bin von den Aufnahmen begeistert
Bravo!