Nach einem kurzen, aber schweisstreibenden Aufstieg durch die Tundra stehe ich am Ufer eines kleinen Bergsees. Für einen Moment wähne ich mich fast in den Alpen: Viele Altschneefelder, obwohl der Juni bereits begonnen hat, steile Flanken und einige Felsen prägen das Landschaftsbild. Weder Lava- oder Sandwüsten sind zu sehen, noch taucht der Atlantik am Horizont auf. Die Rufe der Goldregenpfeifer und Odinshühnchen holen mich jedoch rasch wieder von meiner Gedankenreise in die Alpen zurück in den Norden. Schliesslich entdecke ich den Grund für meine kleine Wanderung: Ein Eistaucher schwimmt inmitten des Sees. Somit wäre ich gedanklich wieder in Island, da diese zu den Seetauchern gehörende Art innerhalb Europas nur hier brütet (abgesehen von Grönland und den Spitzbergen). Erst vor Kurzem ist der See aufgetaut, an den Rändern halten sich noch immer ein paar hartnäckige Schnee- bzw. Eisfelder. Zum Glück ist das Eistaucher-Paar nicht besonders scheu, sodass einer neugierig den wohl etwas ungewohnten Gast am Ufer von näherem betrachten kommt.
Nachdem ich bislang nur Eistaucher im Schlichtkleid gesehen habe, freue ich mich nun sehr über jede Beobachtung der stattlichen Taucher (sie sind 2-7 kg schwer und zwischen 66 und 90 cm lang) im Prachtkleid. Nur während der Brutzeit präsentieren sie sich in diesem kontrastreichen und leicht schillernden Gefieder. Noch mehr als ihre Farben faszinieren mich jedoch ihre Rufe, welche einem förmlich elektrisieren können. Nicht von ungefähr werden sie in der (Film-) Musikbranche verwendet. Ob es wohl eine Reminiszenz an die ersten Touristen aus der Alpenregion ist, dass einer ihrer Rufe “Yodel” genannt wird ? Die Männchen “yodeln”, wenn ein anderes Männchen in ihr Revier eindringt. Fliegt z.B. – wie beim Entstehen der nächsten Aufnahme – ein anderes Eistaucher-Paar über das Territorium, so reagiert das Männchen postwendend mit einem Yodel auf die Verletzung des Luftraumes seines Territoriums (und das nicht nur zu Bürozeiten wie die Schweizer Luftwaffe).
Schwer beeindruckt von diesen ersten Beobachtungen der Eistaucher in Island versuchte ich mein Glück an verschiedenen Seen, deren Standort ich dankenswerterweise von lokalen Ornithologen und Fotografen erfahren hatte. Nachdem ich ein Paar an einem etwas grösseren See entdeckt habe, lege ich mich an das steinige und steil abfallende Ufer. Bequem ist definitiv anders – ganz nach dem Motto “no pain no gain”. Der Nacken schmerzt bereits, als einer der Eistaucher endlich doch noch etwas näher an mich heran taucht. Wirklich angetan scheint er nicht zu sein und schwimmt eilig wieder davon. Ob er am Objektiv oder an meinem verkrampften Gesicht hinter der Kamera erschrocken ist?
Innerhalb weniger Wochen hat sich die Umgebung verändert, auch in Island ist der Frühling endlich so richtig angekommen und Grüntöne dominieren die Ufer.
In der Nähe von Reykjavík habe ich mich später zudem noch selbst auf die Suche nach Eistauchern in potentiellen Brutgewässern gemacht. Auch wenn es auf den Fotos nicht direkt ersichtlich ist, so haben für mich die zu 100% selbst erarbeiteten Fotos einen zusätzlichen Stellenwert. An einem Abend entdecke ich sogar ein Nest, nicht weit vom Weg entfernt in einem Naherholungsgebiet von Reykjavík. Am nächsten Tag wate ich vorsichtig mit Fischerstiefeln etwas näher heran: Aufgrund der zahlreichen Fischer hat sich dieses Paar an Menschen bzw. Fischer gewöhnt (zum Glück habe ich Fischerstiefel an!). Unterdessen realisiere ich, dass die Stiefel allerdings alles andere als dicht sind und ihre ursprüngliche Aufgabe – das Trockenhalten der Socken und Hosen – definitiv nur ungenügend erfüllen.
Nachdem ich die oben genannten Seen gezielt wegen den Eistauchern besucht habe, braucht es ab und zu auch einfach Glück, um neue Orte und besonders fotogene Sujets zu entdecken. Nach einer etwas enttäuschenden Fototour in der ersten Nachthälfte wechsle ich den Standort für den Morgen. Während der Fahrt beginnt der Himmel bereits rosa zu schimmern, während der Vollmond gelblich leuchtet. Auf einmal entdecke ich im See neben der Strasse einen Eistaucher in Ufernähe! Ich werfe einen kurzen Blick in den Rückspiegel: Kein Auto in Sicht. So bremse ich kurz darauf stark ab und parkiere bei der nächstbesten Möglichkeit. Unterdessen steigt der Puls langsam aber sicher an, gedanklich habe ich das Bild vom Eistaucher mit dem Vollmond im Hintergrund bereits angefertigt. Wenn ich jetzt nur noch genügend nahe an den Eistaucher schleichen könnte… Mit jedem Schritt steigt meine Aufregung. Nun auf keinen Fall eine falsche Bewegung machen! Zwischenzeitlich dreht er mir den Rücken zu und schwimmt etwas weiter weg. War es das bereits?! Ich warte einen kurzen Moment ab. Der Eistaucher steuert etwas weiter weg wieder auf das Ufer zu. Auf allen Vieren krieche ich nun einen kleine Bogen um ihn und hoffe, den Vogel so doch noch vor dem Mond platzieren zu können. Der Herzschlag nähert sich nun gefühlt dem Maximalpuls. Aufgeregt teste ich die Einstellungen mit einer Probeaufnahme – sieht nicht schlecht aus. Noch etwas näher beim Taucher lege ich mich vorsichtig hin. Ich hole einmal tief Luft, halte den Atem an und presse den Finger auf den Auslöser. Der Eistaucher setzt sich in Bewegung und schwimmt einige Meter, während der Spiegel der Kamera klickt. Immerhin bei zwei Bildern der Serie ist der Vogel scharf und der Vollmond auf dem Bild. Diese raren Momente und Stimmungen sind es, welche mich anspornen, nächtelang in Island auf das passende Licht und Motiv zu warten – und weshalb ich der Naturfotografie verfallen bin.
Kurz darauf setzt der Eistaucher zum Duett mit der Partnerin / dem Partner am anderen Ende des Sees an – was für eine Stimmung! Mit Hühnerhaut lausche ich dem Paar und geniesse den Moment, an den ich mich bestimmt noch lange werde erinnern können, so intensiv ist das Erlebnis gewesen.
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Wunderbarer Blogeintrag! Das Bild mit dem Vollmond ist wirklich soooo stimmig!