Nichts ausser kanadischer Wildnis ist zu sehen: Soweit das Auge reicht nur bewaldete Berge und ein See. Die frisch verschneiten Berggipfel leuchten von den letzten Sonnenstrahlen rot und spiegeln sich im See. Ich suche nach einem geeigneten Vordergrund für ein paar Landschaftsaufnahmen, komme jedoch nicht all zu weit. Bevor ich eine zufriedenstellende Komposition gefunden habe, taucht am gegenüberliegenden Ufer mein Wunschmotiv auf: ein Grizzlybär (Ursus arctos horribilis). Schnell eile ich zum Fotorucksack zurück und wechsle das Objektiv. Wie oft habe ich von dem Moment geträumt, wilde Grizzlies zu fotografieren….
Der Bär scheint davon allerdings nichts zu wissen und verschwindet wieder im Wald, bevor ich auch nur ein Foto machen konnte. Zum Glück kommt er kurz darauf nochmals hervor, um ein paar halbherzige Angriffe auf die Lachse zu starten.
Kurz davor haben wir die frischen Überreste von Lachsen weiter unten am Fluss entdeckt. Da die Steine noch nass waren, haben wir den Täter wohl nur knapp verpasst…
Schon am nächsten Morgen früh prasseln die Regentropfen auf das Dach der Hütte, an diesem Tag sollte es nur einmal regnen. Nach dem Motto: “Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen” halfen wir am morgen bei einem Projekt mit Lachsen. Es war sehr spannend, die Fische einmal von Nahem betrachten zu können. Die Farben und Strukturen der Kiemen sind in natura noch beeindruckender als in den Slides der Vorlesung.
Da die Lachse in vielen Flüssen im südlichen Teil von British Columbia empfindliche Rückgänge im Bestand erlitten haben, versuchen diverse Umweltschutzorganisationen mit sogenannten “Hatcherys” den Fortpflanzungserfolg zu steigern (nicht zu verwechseln mit den kommerziellen Lachsfarmen, welche ihrerseits eine Bedrohung für die wilden Populationen darstellen können). Dazu werden einige Lachse gefangen und deren Eier und Samen entnommen. Damit soll die Überlebensrate von der Befruchtung bis zu den Jungfischen gesteigert werden. Dies gelingt auch, bis zu 95% der ehemaligen Eier können im nächsten Jahr als kleine Lachse in den Flüssen ausgesetzt werden (diese Überlebensrate entspricht einem Vielfachen der natürlichen). So konnten wir gleich einen kleinen (indirekten) Beitrag leisten, damit die Bären auch in Zukunft noch etwas zu fressen haben.
Hier ein Arbeitsfoto, der Grössenvergleich zwischen mir und dem Chinook (Oncorhynchus tshawytscha) zeigt eindrücklich, wie gross diese werden können: ein Individuum wog stolze 25 Kilogramm. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie viele leckere Lachsbrötlein das gegeben hätte!
Plötzlich erspähe ich unter der Kapuze hervor einen pelzigen Gast: wenige Meter vor uns steht ein Grizzly. Und meine Kamera liegt momentan unerreichbar auf der anderen Seite des Bären in der Hütte! Damn! Im ersten Moment musste ich kurz fluchen ob der entgangenen Fotomöglichkeit. Danach war jedoch geniessen angesagt: in aller Gemütlichkeit schaute er sich die Umgebung an und trottete an uns vorbei in den Wald in Richtung Fluss.
Von nun an ging das Arbeiten noch viel schneller, hoffte ich doch, den Bären nochmals am Fluss anzutreffen. Im Eiltempo machten wir die Hatchery winterfest. Nach dem auch das letzte Netz versorgt ist, geht es endlich auf zum Fluss. Auf dem Weg dahin steigt die Anspannung: ob er wohl immer noch da ist? Kurz darauf folgt die Erleichterung: vorsichtig schaut der Grizzly hinter dem Gebüsch hervor.
Zu meiner grossen Freude läuft er noch einige Schritte auf uns zu, bevor er stehen bleibt und die Umgebung mustert.
Während sich die Grizzlies im Frühjahr und Sommer hauptsächlich vegetarisch ernähren (von Gras und Beeren), sind die Lachse mit ihrem hohen Fettanteil ideal geeignet für das Anlegen des Winterspecks. Je mehr Lachs ein Bär frisst, desto grösser seine Reserven während der Winterruhe und desto grösser seine Überlebenschancen. Die Bären in Regionen mit Lachsen können deutlich grösser werden, als jene in Gebieten ohne Lachse (z.B. in den Rockies), da sie dank dem Superfood schneller Gewicht zulegen können.
Alle Lachse der kanadischen Westküste verenden nach dem Laichen, was eine wichtige Nährstoffquelle für die Ökosysteme darstellt: Durch verschiedene Tiere werden die Nährstoffe vom Fluss weg transportiert und gelangen schlussendlich in den Boden, wo sie von den Pflanzen aufgenommen werden können. So werden auch die Riesen-Lebensbäume (Thuja plicata) grösser in Gebieten mit Lachsvorkommen als ohne, ein Teil des Stickstoffs in ihrem Gewebe stammt vom Lachs (Stickstoff ist häufig ein wachstumslimitierender Faktor bei Pflanzen).
An seinen Rundungen kann man leicht erkennen, dass dieses Individuum schon ein beachtliches Polster zugelegt hat. Bei den Bäumen im Hintergrund handelt es sich um die vorhin erwähnten Riesen-Lebensbäume.
Tiefhängende Wolken sorgten für eine mystische Stimmung.
Weiter unten am Fluss begegneten wir noch weiteren Bären: der erste war etwas dünner und hatte eine Verletzung am Kiefer. Möglicherweise schränkte diese seinen Fischfangerfolg etwas ein, sodass er weniger Gewicht zulegen konnte.
Das Gegenteil traf auf den nächsten Grizzly zu: dieser war ein richtiger Brocken. Bäuchlings frass er an einem Lachs. Interessant zu beobachten war, dass der dünnere Bär einen grossen Bogen um diesen machte.
Laichende Lachse ziehen nicht nur Bären an, sondern auch viele andere Tiere wie Adler und Möwen. Mehrere Weisskopfseeadler (Haliaeetus leucocephalus) warteten auf die Gelegenheit, etwas von einem Kadaver zu erhaschen.
Abgerundet wurde die tolle Tour mit Viktor Davare mit der Beobachtung eines Buckelwals (Megaptera novaeangliae).
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