Während ich schon eine Weile auf den Steinen am Boden liege, will das Motiv einfach nicht näher kommen. Anstatt, wie von mir erhofft, geradlinig auf mich zuzulaufen, scheint es andauernd links und rechts Interessanteres zu geben. Langsam aber sicher schmerzen mir die Ellbogen und Oberschenkel bzw. Knie vom Herumliegen auf der wenig komfortablen Unterlage. Wenn der Steinwälzer doch endlich vorwärts machen würde! Kurz darauf rennt er schnurstracks auf mich zu. Na geht doch! Nur leider ist er sogleich auch an mir vorbei gesprintet und ich sehe ihn nur noch von hinten.
Eigentlich wollte ich mich weit über der Baumgrenze auf die Suche nach Mornellregenpfeifern machen. Eine Erkältung verunmöglichte den kräftezehrenden Aufstieg und das Übernachten im Freien jedoch. So weht anstatt eines angenehmen Duftes nach alpinen Rasen ein Gemisch aus Barbecue, Sonnencrème, Alkohol und Hanf beim Warten auf das Motiv. Und anstelle der Stille auf über 2500 m.ü.M. herrscht ein wilder Mix aus Hip Hop, Afro und Rap, unterbrochen immer wieder vom Gebelle der Hunde. Naja, immerhin gibt es für einmal auch mitten in Zürich einen Limikolen aus dem hohen Norden zu fotografieren. Und wie die Mornellregenpfeifer scheint er nicht allzu scheu zu sein. und kommt immer wieder nahe an mich heran.
Auf jeden Fall stört ihn der ganze Trubel am Seeufer in Zürich nicht gross. Mutig läuft der Steinwälzer zwischen den einheimischen Stockenten und den Badenden vorbei.
Dabei macht der Steinwälzer seinem Namen alle Ehre und dreht fleissig die Steine entlang des Seeufers um. Manchmal ist er so energisch, dass kleine Kieselsteine regelrecht durch die Luft gewirbelt werden. Wahrscheinlich wollte er sich noch den Feinschliff für das Steinstossen im Federgewicht am Unspunnenfest holen. Schade nur, hat er dies um ein paar Wochen verpasst…
Während Tagen scheint der Steinwälzer den “Vibe” im kleinen Strandbad zu geniessen. Ich besuche ihn in dieser Zeit mehrmals und versuche, mit unterschiedlichen Perspektiven und Belichtungen zu arbeiten. Immer gleich bleibt jedoch die etwas unbequeme Unterlage zum Fotografieren, würde er doch nur Sandwälzer heissen…
Besonders oft wuselt er rund um angeschwemmtes Grünzeug herum. Vermutlich hat es darin den einen oder anderen proteinhaltigen Leckerbissen.
Abends beleuchtet die untergehende Sonne den Hintergrund und sorgt für etwas Farben im Strandbad.
Mit seiner kompakten Körperform gleicht der Steinwälzer den Kraftsportlern oder Sprintern unter den Limikolen. Dementsprechend schnell beschleunigt er immer wieder auf der Nahrungssuche. Da er auch andauernd die Richtung wechselt, ist es für mich alles andere als einfach, den unruhigen Vogel zu fotografieren. Die neuen Kameras besitzen zwar einen relativ guten Autofokus, doch ist er bei diesem Motiv, den Kieselsteinen und der tiefen Perspektive immer wieder überfordert. Die Kameras ermöglichen zum Glück auch immer mehr Bilder pro Sekunde, sodass die Chancen auf ein scharfes und passendes Bild steigen. Dadurch entsteht allerdings auch sehr viel Ausschuss zum Aussortieren. Noch selten habe ich von einem einzigen Vogel so viele Fotos (7’000) angefertigt (wobei ich dafür mehrere Tage benötigt habe).
Zum Abschluss einer Schönwetterphase von mehreren Tagen kündigen sich für den Abend kräftige Gewitter an. Nachdem ich mich über den Mittag während des Lauftrainings vergewissert habe, dass der Steinwälzer noch da ist, ziehe ich abends mit der Fotoausrüstung los. Die dunklen Wolken und Blitze in der Ferne vertreiben schnell auch die letzten Badenden, sodass ich mich alleine mit dem Steinwälzer im Strandbad befinde. Im Vergleich zum Wochenende herrscht fast schon eine gespenstische Stille. Bald prasseln grosse Regentropfen herunter. Eigentlich spekulierte ich auf Aufnahmen im Starkregen, jedoch spielten der Steinwälzer bzw. der Hintergrund nicht wirklich mit. So ist die Ausrüstung in Kürze klitschnass und ich beende das Fotoshooting mit dem Gast aus dem Norden, ohne mein Wunschbild angefertigt zu haben. Immerhin konnte ich vor dem Regenschauer noch ein paar Weitwinkelaufnahmen mit dem Steinwälzer machen.
Dem Steinwälzer schien das schlechte Wetter weniger gefallen zu haben. Am Tag darauf war er unauffindbar. Vermutlich hatte er genug von Zürich gesehen und wollte weiter in wärmere Gefilde reisen, während ich noch eine Weile mit Zürich vorlieb nehmen darf. So bewundere ich die Zugvögel für ihre unglaublichen Leistungen und auch ein wenig für ihren Lebensstil mit einem Hauch von “Jet Set”. Vielleicht war seine nächste Destination ja die Hafenmole von Monaco oder Saint-Tropez, gute Moules dürfte es dort sicherlich geben 😉
Comment
Lieber Flurin,
Herzlichen Dank für die schönen Fotos über einen Vogel von dem ich nie gehört habe – der Steinbeisser.
Auch Dein Kommentar ist hervorragend. Einmal mehr eine Meisterleistung von Dir – bravo!
Liebe Grüsse: Hanspeter