Was für ein Licht – die letzten Sonnenstrahlen sorgen für einen orange-roten Lichtsaum der Steingeiss vor uns. Bei solch speziellen Bedingungen scheint der Finger förmlich auf dem Auslöser der Kamera zu kleben. Der Puls steigt an, als wolle er sich dem Rhythmus der Kamera anpassen. Zum Glück stören sich die Steingeissen nicht am andauernden Klicken meiner Kamera. Noch eine knappe Stunde davor hat nichts auf diesen erfolgreichen Abend hingedeutet: Während der “Gipfelrast” habe ich die Bergflanken aufmerksam nach Wildtieren abgesucht, schliesslich bin ich mit meiner Schwester unterwegs um ihr ein paar Steinböcke oder -geissen zu zeigen. Weit und breit ist jedoch nichts zu sehen gewesen. Gleichzeitig ist der Grossteil der Wanderer auf den Weg in Richtung Tal aufgebrochen. Allerdings dauert es zu dem Zeitpunkt noch etwas mehr als eine Stunde bis Sonnenuntergang. Daher sollten die Tiere noch genug Zeit haben, um nach den Wanderern, aber noch bei Tageslicht, auf die Krete zu gelangen.
Als später immer noch kein Steinwild zu sehen ist, beginnen wir dem Grat entlang weiter zu laufen. Vielleicht können wir dem Glück ja so etwas auf die Sprünge helfen? Die Sonne nähert sich gefühlt schon gefährlich nahe dem Horizont, während sie die Landschaft in warmes Licht tüncht. In Kürze wird das schöne Licht vorbei sein und sich Dunkelheit ausbreiten. Langsam steigt meine Nervosität etwas an, denn ausser den röhrenden Hirschen weit unten im Tal haben wir noch nichts gefunden: Wo haltet sich bloss das Steinwild-Rudel zur Zeit auf? Mit dem nahenden Sonnenuntergang vor Augen steigern wir die Schrittlänge und -frequenz stetig. Zum Glück erblicken wir gerade noch rechtzeitig einige Steingeissen etwas weiter vorne auf dem Kamm. Dank eines kleinen “Schlussspurts” reicht es immerhin noch für ein paar Fotos bevor die Sonne sich hinter den Bergen verabschiedet.
Zur Zeit der Dämmerung, in der sogenannten blauen Stunde (Sonne liegt vier bis acht Grad unterhalb des Horizontes), ergeben sich noch weitere Möglichkeiten, die Steingeissen zu fotografieren. Aufgrund ihrer Gelassenheit und Vertrautheit mit Zweibeinern lassen sie uns auch relativ nahe, so dass Aufnahmen auch mit weniger Brennweite möglich sind.
Ich versuche das Rudel aus den verschiedensten Perspektiven zu fotografieren. Um den Mond mit ins Bild zu kriegen, liege ich auf den Bauch. So hat sich die Speicherkarte innerhalb kurzer Zeit doch noch gefüllt.
Am nächsten Morgen entdecken wir noch in der Dämmerung eine Steingeiss mit ihrem Jungen. Mit erstaunlicher Sicherheit bewegt sich das Kleine in steilem Gelände, in welchem jeder Fehltritt fatale Folgen hätte. Es ist nun ca. vier Monate alt und schon relativ selbstständig. Nur mit dem Posieren vor der Kamera klappt es noch nicht so ganz: Da ist die Mutter doch einiges erfahrener und weiss an den richtigen Stellen halt zu machen 😉
Im Gegensatz zu den Böcken werden die Hörner der Weibchen weniger lang (max. 35 cm) und sind schmäler. Das Horn wächst lebenslang vom Hornknochen aus.
Bereits kurz nach der Schneeschmelze habe ich die Steinwild Kolonie mit Fabian Fopp besucht. Die Tiere haben sich zu dem Zeitpunkt gerade im Fellwechsel befunden: die dicke Unterwolle schützt auch unter unwirtlichen Bedingungen vor Nässe oder Wärmeverlust – der Steinbock friert erst bei Temperaturen unter -35°C. Verständlich, dass sie diese Wolle im Sommer lieber loswerden möchten. Auch im Sommerfell wird es dem Steinbock ab 15-20°C zu warm, schliesslich ist auch sein Sommerfell an die eher kühlen Temperaturen im Hochgebirge angepasst. Wird es wärmer, so halten sich die Tiere in schattigen Hängen auf. Die Temperaturentwicklung mit dem Klimawandel wird wohl auch den Steinböcken in den Voralpen so manch ein Schweisstropfen auf die Stirn treiben…
Nach einem wolkenverhangen Abend gefolgt von einem kurzen Gewitter verlief der Morgen im Frühsommer dafür umso spektakulärer: Gerade zu Sonnenaufgang laufen einige Steingeissen an uns vorbei.
3 Comments
Wiedereinmal grossartig von dir!
Schon die Story ist ein halber Krimi…
Mein Maul bleibt offen, wie bei der Steingeiss, so beeindruckend sind deine Fotos
Einfach fantastisch!!!
Vielen Dank und nur weiter so…
Herzliche Grüsse
wunderschöne Bilder und farbenreicher Text! Freue mich für Dich!