Der Gegenwind pfeift mir mit voller Stärke ins Gesicht. Dies ist nun schon der dritte Tag in Serie mit Gegenwind. Die Sandkörner fliegen regelrecht über die Strasse und sorgen bei mir wortwörtlich für Zähneknirschen. Trotz über 200 Watt schleiche ich mit nicht einmal 20 km/h über die Strasse und brauche über 5 Stunden für 100 km. So langsam aber sicher schlägt der Wind auf das Gemüt. Spätestens als ich realisiere, dass ich an diesem Tag meine Wunschlocation nicht erreichen kann, ist die Laune kurzfristig im Keller. Eine ausgiebige Mahlzeit und mehrere Kuchenstücke zum Dessert heben meine Laune wieder an. Frisch gestärkt mache ich mich auf den Weg an den Strand. Nach mehreren Wochen in der Wüste, während derer ich Wasser eigentlich nur verpackt in Plastikflaschen oder im Hotelzimmer gesehen habe, ist das Gefühl, barfuss durch den nassen Sand zu gehen, unbeschreiblich. Mit ohrenbetäubendem Lärm rollen die Wellen gegen den Strand, während der Wind über den Strand fegt. Die Möwen scheinen sich von all dem überhaupt nicht beeindrucken zu lassen.
Beim Spaziergang treffe ich auch auf ein paar «Altbekannte», welche im Gegensatz zu mir jedes Jahr die kalte Jahreszeit hier im Süden verbringen. So treiben sich ein paar Steinwälzer auf den Felsen umher.
Am Sandstrand laufen Sanderlinge an der Wasserkante auf und ab. Die kleinen Kerle sind wirklich flink und zackig unterwegs.
So komme ich etwas unverhofft doch noch zu einigen Bildern an diesem stürmischen Tag.
Am nächsten Morgen breche ich dann mit einem Tag Verspätung zur Erkundungstour in das angestrebte Gebiet auf. Die Landschaft ist beeindruckend: Die Sanddünen der Sahara treffen auf eine Lagune und den Atlantik.
Die Lagune ist ein richtiger Anziehungspunkt für Vögel. Nicht wegen der schönen Landschaft, sondern wegen des üppigen Nahrungsangebots im Schlick. Nach den eher einsamen Wochen in der Wüste, an denen ich nur wenige Vögel gesichtet habe, bin ich nun fast etwas überfordert von der schieren Anzahl an Vögeln, welche sich auf engem Raum tummeln.
Auch wenn viele der Arten an einem speziell guten Tag auch in der Schweiz beobachtet werden könnten, und ich dafür nicht beinahe 6000 km mit dem Fahrrad für einen Weg zurücklegen müsste, fasziniert mich die Umgebung mit den Dünen im Hintergrund besonders.
Seit ich bei der Recherche über Marokko ein paar Bilder von dieser Lagune gesehen habe, wünsche ich mir, diese Region zu besuchen. Vor dem geistigen Auge habe ich schon unzählige Fotos angefertigt. Doch vor Ort stellt sich dann – wieder einmal – einiges als komplizierter heraus, als ich mir dies vorgestellt habe. Beispielsweise sind die Flamingos deutlich scheuer, wie ich es mir aus der Camargue gewohnt bin.
Meine Anspannung am ersten Abend steigt mit jeder Minute. Ein Flamingo-Bild mit den Dünen der Sahara im Hintergrund zu Sonnenuntergang ist mein Traum. Da zu meiner Überraschung eher wenig Flamingos anwesend sind, habe ich nicht viele Versuche zur Verfügung. Ich kann mir also beim Annähern an die Flamingos keine Fehler erlauben. Daher entschliesse ich mich, zuerst einmal möglichst lange abzuwarten in sicherer Entfernung, sodass die Flamingos hoffentlich nicht schon vor Sonnenuntergang davonfliegen. Ungeduldig schaue ich praktisch minütlich auf die Uhr – ich halte die Warterei fast nicht aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird das Licht endlich rötlich.
Nun habe ich ein paar Minuten zur Verfügung, bevor der ganze Zauber wieder vorbei ist. Ich kann mich so platzieren, dass eine Flamingo-Gruppe vor den Sanddünen steht, welche von den letzten Sonnenstrahlen beschienen wird.
Ein Moment, wie ich ihn mir erträumt habe. Verewigt nicht nur in meinem Gedächtnis, sondern zum Glück auch auf der Speicherkarte 😉
Dieses magische Licht ist – für meinen Geschmack – viel zu schnell vorbei.
In den nächsten Tagen erhalte ich trotz vielen Versuchen keine ähnliche Gelegenheit mehr. Eines Morgens beginnt es sogar zu regnen, als ich mich auf den Weg zu den Flamingos mache. Ich frage mich schon, ob ich nicht besser umkehren und es mir nochmals im warmen Schlafsack gemütlich machen sollte. Doch dafür ist es nun irgendwie auch zu spät. Einige Minuten später laufe ich immer noch etwas im Dämmerzustand barfuss durch den Schlick, als auf einmal ein Teil eines Regenbogens erleuchtet. Sofort bin ich hellwach. Ich versuche so schnell wie irgendwie möglich ein paar Flamingos zu finden, welche ich mit dem Regenbogen im Hintergrund fotografieren kann. Ein Bild, mit welchem ich definitiv nicht gerechnet habe. Aber manchmal bieten sich glücklicherweise auch überraschende Möglichkeiten 😉
Während die Intensität des Regenbogens über den Flamingos nachlässt, erscheint er nun auf der anderen Seite umso stärker.
Solche Momente entschädigen für die vielen Tage, in denen es nicht wie gewünscht läuft, und die Speicherkarte so gut wie leer bleibt. Der Wind ist, praktisch während meines ganzen Aufenthaltes im Gebiet, ein steter Begleiter. Immerhin muss ich in diesen Tagen nicht stundenlang auf dem Velo dagegen ankämpfen. Bei leicht stürmischen Bedingungen stellt der Flamingo sein Stabilisationsvermögen unter Beweis mit dem Einbeinstand.
Die Sonne steigt jeweils rasch empor, sodass die Kontraste schnell härter werden.
Am letzten Abend im Gebiet gelingt es mir noch eine kleine Gruppe Flamingos mit dem Vollmond abzulichten. Aufgrund des Dunstes ist der Mond erst relativ hoch am Himmel ersichtlich und ich hätte dieses Bild beinahe verpasst.
An den meisten Tagen ist das Glück allerdings nicht ganz auf meiner Seite bzw. stelle ich mich zu ungeschickt an, und die Flamingos fliegen auf und davon, bevor ich auch nur ein halbwegs vernünftiges Foto hätte machen können. So kommt es mir ganz gelegen, dass ich noch zahlreiche weitere Arten antreffe. Die Anzahl an verschiedenen Vogelarten in der Lagune erstaunt mich jeden Tag aufs Neue. Anstatt den Flamingos kann ich unter anderem eine Dünnschnabelmöwe im Flug ablichten.
Fehlen die Flamingos, dürften auch die zahlreich anwesenden Limikolen in die Hauptrolle schlüpfen. Während einzelne Limikolen auf dem Durchzug in der Schweiz sehr zutraulich sein können, sind sie hier in Gruppen unterwegs. Sobald ich mich ihnen nähere, fliegt meist ein Limikole viel zu früh auf und mit ihm entschwindet die ganze Gruppe. Das Anpirschen im Schlick bzw. Schlamm ist definitiv nicht eine meiner Stärken. Warten an einem passenden Ort funktioniert auch nicht so richtig, zumal ich auch nicht die Ausrüstung dabei habe, um mich richtig in den legen zu können. Ganz nach dem Motto «Gibt sich und hat Mühe», mühe ich mich mit den Limis ab und hoffe, dass irgendwann ein zutrauliches Individuum darunter ist. So richtig klappen will dies dennoch nicht. Irgendwann erwische ich immerhin eine Uferschnepfe, eine Art, welche eigentlich eher scheu ist. Ähnlich scheu sind hier unter den Limis nur Rotschenkel und die Brachvögel, welche meist schon auf Dutzende Meter Distanz abfliegen – und sehr zu meinem Ärger dabei jeweils laut rufen müssen. Dadurch alarmieren sie erfolgreich alle anwesenden Limis in der näheren Umgebung, was jegliche weitere Annäherungsversuche für mich zusätzlich erschwert.
Den Winter hier wie ein Zugvogel in der Wärme zu verbringen, hat definitiv seinen Reiz. Die Tage sind länger und ohne den fiesen Wind wäre es angenehm mild. Ich bin fast etwas neidisch auf die Zugvögel, welche jeden Winter aufs Neue in den Süden ziehen und staune gleichzeitig ab deren Leistungsvermögen. Mit dem Velo habe ich doch relativ lange gebraucht, um in den Süden Marokkos vorzustossen. Könnte ich auch so schnell grosse Distanzen zurücklegen, wie diese Langstreckenzieher, würde ich bestimmt auch nächstes Jahr wiederkommen. Ich muss mich mental nun aber darauf einstellen, langsam aber sicher wieder in den Norden und somit in kältere Gefilde zu fahren.
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