Majestätisch gleiten die Gänsegeier der Felswand entlang, um sich die besten Aufwinde zu suchen. Ein Geier nach dem anderen taucht hinter der Felskante auf – ich freue mich riesig über meine ersten Beobachtungen von Gänsegeiern in der Wildnis. Einem Karussell ähnlich kreisen sie in der Thermik und entschwinden viel zu schnell als kleine Punkte am blauen Himmel. Etwas verträumt blicke ich ihnen hinterher: Könnte ich doch nur auch so spielend leicht Höhenmeter sammeln… Mit ihren beeindruckend grossen Flügeln (die Spannweite beträgt zwischen 2.3 und 2.6 Metern) können sie die Thermik ideal ausnutzen. Für die Geier sind die Aufwinde daher wie «Lifte», in denen sie bloss noch ihre Flügel als Segel ausbreiten und ein paar weite Kreise ziehen müssen.
Mit einem Rauschen kündigt sich währenddessen im Rücken von Manuel Schulz und mir der nächste heranfliegende Gänsegeier an und holt mich vom Träumen zurück: Fliegen die Geier genug nahe und mit etwas Tempo an einem vorbei, so entsteht durch die durch die Federn streichende Luft ein Rauschen (ähnlich wie bei einem Gleitschirm). Nur ist es dann meist zu spät und wir sehen die Geier nur noch von hinten davon fliegen…
Wir können unser Glück kaum fassen, als wir vor uns in der Wiese sitzend einen Gänsegeier entdecken. Nach einigen Belegfotos versuchen wir uns hinter der mediterranen Vegetation noch etwas näher heranzupirschen. Zu unserer Überraschung ist er ziemlich relaxt und bleibt entspannt sitzen. Im Gegensatz dazu steigt unser Puls vor Aufregung wie bei einem Intervall-Training an und der Spiegel unserer Kameras klappert wild drauf los, wie oft sieht man denn einen wilden Gänsegeier so nah? Da möchten wir ja keinen Moment verpassen und verschiedene Perspektiven ausprobieren.
Auf den Fotos sind die kurzen Federn am Kopf und Hals sowie der Federkragen gut ersichtlich. Sie sind eine Anpassung an die Ernährungsweise der Gänsegeier. Mit dem langen Hals kommen sie an die Innereien heran, die kurzen Federn im Kopf- und Halsbereich lassen sich nach einem Festmahl gut reinigen. Der Federkragen schützt den restlichen Körper vor Verschmutzung. Wie andere Altweltgeier ernähren sie sich ausschliesslich von Aas. Durch das Beseitigen der Kadaver dämmen sie die Ausbreitung von Krankheiten ein, welche sich auf den verwesenden Körpern ausbreiten könnten. Dennoch genossen sie früher (und leider bei gewissen Leuten noch heute) einen schlechten Ruf, ihre imposante Erscheinung sowie das Unwissen über ihre Ernährung scheint ihnen zum Verhängnis geworden zu sein. So wurden sie verfolgt und in manchen Gegenden Europas ausgerottet. Aufwändige Schutz-und Wiederansiedlungsprogramme sorgen für (regional) positive Bestandsentwicklungen. Dabei ist es erfreulich zu sehen, was das Engagement einiger Leute im Artenschutz bewirken kann und wie die Geier(-bestände) nun in manchen Regionen wortwörtlich «im Aufwind» sind.
Die Geier sind wahre Langschläfer: Ohne Thermik fliegen sie nur selten los. Nicht gerade ideal, wenn man eigentlich auf Fotos in der goldenen Stunde hofft. So warten wir jeden Morgen sehnsüchtig auf einen Frühaufsteher im goldenen Licht und reden uns ein, dass es ja genüge, wenn ein einzelnes Individuum in passender Distanz vorbeifliegen würde. Verzweifelt fotografieren wir uns gegenseitig, so können wir immerhin den Auslöser betätigen, auch wenn das Motiv nicht gerade das gewünschte ist 😉
Jedoch steigt Tag für Tag während des Wartens die Sonne höher und höher, ohne dass auch nur ein Geier vorbeifliegen würde. Der erlösende Schatten eines fliegenden Geiers auf der Felswand tauchte leider immer erst zu spät auf… Dafür veranstalten sie dann bei guter Thermik eine kleine Flugshow, bevor sie sich auf die Nahrungssuche aufmachen.
Die Thermik als notwendige Bedingung für die Geier-Flugshow bringt noch einen weiteren Nachteil mit sich: das Hitzeflimmern. Man spürt förmlich, wie die warme Luft den Felsen emporsteigt, die Luftbewegungen sind auch von blossem Auge gut ersichtlich. So legt sich oft wie ein ungewollter Weichzeichner über das ganze Bild: Die Geier auf dem Foto gleichen dann eher einem Pastellgemälde, Details sind keine mehr zu erkennen und das Foto ist ein Fall für den Papierkorb.
Gegen Abend erscheinen sie wie aus dem Nichts als kleine schwarze Punkte am Himmel. Die Rückkehr zu den Schlafplätzen in den Felswänden geht sogar nochmals einiges schneller von Statten als der Wegflug am Morgen: Die Flügel werden leicht angewinkelt und im rasanten «Sturzflug» wird die Felswand angesteuert. Kurz vor der angepeilten Felsnische bremsen sie mit ausgebreiten Flügeln ab, um dann mehr oder weniger elegant auf einem Vorsprung aufzusetzen.
Wir versuchen bei kleinen Wanderungen noch weitere Motive zu finden, immer mit der Hoffnung, sie vielleicht einmal in der goldenen Stunde fotografieren zu können. Einige Iberien- und Provencegrasmücken tragen ihren Reviergesang vor. Wenn wir die kleinen und heimlichen Sänger doch nur sehen würden! Sie scheinen ein Versteckspiel mit uns zu spielen und singen meist nur inmitten der dichten Vegetation. So kann es sein, dass wir wenige Meter vor einem Busch stehen, den Sänger darin aber nicht zu Gesicht bekommen.
Es gleicht einem Geduldspiel, bis die Grasmücken einmal auf einer exponierten – sprich fotogenen – Warte singen. Dabei sind sie auch noch sehr aktiv und verharren nur für wenige Augenblicke an der gleichen Stelle. Nach einiger Zeit können wir die präferierten Sitzwarten ausfindig machen, auch wenn es davon eine ganze Menge zu geben scheint.
Die Iberiengrasmücke singt so z.B. nur einmal während eines ganzen Nachmittags in diesem Busch und das erst noch bei eher harten Lichtbedingungen.
Nach einer langen Zeit immer grösser werdender Vorfreude auf die Fototour – dem Datum des letzten Blog-Eintrags kann man sich leicht erdenken, wie oft ich im letzten Halbjahr zum Fotografieren gekommen bin – sind die Tage bei den Geiern leider wie im Flug vergangen. Zum Glück habe ich in der Zwischenzeit weder ganz verlernt, wo der Auslöser der Kamera ist noch ist die Kamera eingerostet. Während etlichen Stunden des Wartens haben wir einige unvergessliche Begegnungen mit den majestätischen Vögeln erlebt und so manche persönliche Erstbeobachtungen gemacht.
Kommentieren
Lieber Flurin gratuliere dir zu den sensationellen Fotos.
Ruedi Jenzer