Mit einem Schnauben taucht auf einmal ein runder Kopf aus dem Atlantik auf und zwei schwarze Augen mustern uns aufmerksam. So richtig scheint sich der Seehund nicht sicher zu sein, ob er uns trauen kann. Vorsichtshalber schwimmt er ein wenig dem Ufer entlang hin und her, um uns aus verschiedenen Winkeln zu beäugen.
Nach seiner ausgiebigen Prüfung scheinen wir ihm doch genehm zu sein. Er robbt wenige Meter vor uns auf den Seetang. Zuvor haben wir bereits während Stunden die Robben beobachtet. Sie sind nicht wirklich scheu und lassen uns, zu unserer grossen Freude, immer näher heran. Meistens schlafen sie, doch von Zeit zu Zeit wird die Umgebung überprüft. Dabei ist es genügend kalt, sodass das vom letzten Tauchgang noch nasse Fell dampft.
Durch die Kälte sind die ohnehin schon glitschigen Steine mit einer feinen Eisschicht überzogen. Das Laufen gleicht daher eher einem Hindernisparcours: Während die Füsse vergeblich Halt suchen, muss das Stativ kurzerhand als Gehstock einen Ausrutscher verhindern. Die Seehunde scheinen unsere ungewollt hektischen Bewegungen nicht wirklich zu beeindrucken, denn sie dösen weiter vor sich hin.
Ob der Seehund hier gerade von einem grossen Hering-Schwarm träumt? Auf jeden Fall scheint das “Bett” aus Seetang äusserst bequem zu sein! Ich habe mich davon inspirieren lassen und habe mich ebenfalls in den nassen Seetang gelegt. Jedoch nicht, um vom nächsten fetten Fisch zu träumen, sondern um meine fotografischen “Träume” zu verwirklichen und eine möglichst tiefe Perspektive zu erhalten. Die Regenjacke sowie die Skitourenhose haben den Test bestanden und scheinen fast so dicht zu sein, wie das Robbenfell.
Nach einer anstrengenden Woche (die Masterarbeit lässt grüssen) habe ich es um so mehr genossen, die Seehunde aus nächster Nähe zu erleben. In der kleinen Bucht fühlen sie sich sicher und spielen unter Wasser. Ab und zu ist ein lautes Klatschen zu hören, wenn sie mit den Flossen auf das Wasser schlagen.
Sie sind so entspannt, dass ich sogar mit dem Weitwinkel einige Aufnahmen anfertigen kann. Auffällig ist das glänzende, nasse Fell auf der Unterseite. Im Hintergrund sind noch einige weitere ruhende Artgenossen als helle Punkte zu erkennen.
Bisher habe ich mir noch nie wirklich Gedanken dazu gemacht, weshalb wir eine bestimmte Art der Fortbewegung mit “robben” bezeichnen (einmal davon abgesehen, dass man beim “robben” wie eine Robbe auf dem Bauch liegt). Beim Beobachten der Seehunde wird augenfällig, weshalb. Der Wasserspiegel sinkt relativ rasch aufgrund der nahenden Ebbe. Dadurch verwandelt sich ein Seetang-Bett auf Wasserhöhe während eines ausgiebigen Nickerchens plötzlich zu einem Hochbett. Die Robben sind von dieser Entwicklung allerdings wenig begeistert – insbesondere, wenn der Atlantik plötzlich einige Meter von ihnen entfernt liegt. Sobald sie ihre etwas missliche Lage nach dem Schlaf erkannt haben, robben sie eilig wieder näher ans Wasser. Dazu nehmen sie die Vorderflossen zu Hilfe, stützen sich auf ihnen ab und versuchen sich dadurch nach vorne zu schieben. Dies sieht so unbeholfen bzw. mühsam aus, dass klar wird, weshalb auch schon zwei Meter Entfernung zum Wasser (im Falle einer Flucht) viel sind. Aber vor allem hat es mir vor Augen geführt, weswegen ich manchmal an meine Motive heran “robbe” und nicht etwa “schlängle”: bäuchlings anschleichen ist mühsam, langsam und sieht bei mir garantiert mindestens so unbeholfen aus, wie bei den Robben. Wobei die dicke Fettschicht der Seehunde für etwas mehr Komfort sorgen sollte 😉
Aufgrund der Nähe zu den Tieren habe ich mich noch an einigen Detailaufnahmen versucht. Ihre Flossen haben erstaunlich grosse Krallen.
Vor lauter Begeisterung über die Erlebnisse mit den Robben ist das Essen etwas vergessen gegangen. So hat es erst um 16 Uhr ein Mittagessen gegeben – ein unterdessen fast gefrorenes Müsli. Pünktlich zu Sonnenuntergang sind wir wieder frisch gestärkt und die Wolken verziehen sich. Ideale Bedingungen, um einige Bilder im Gegenlicht zu machen.
In der Blauen Stunde leuchtet das Weiss der verschneiten Berge. Etwas mehr als 7’000 Seehunde leben an den Küsten von Island – vor 40 Jahren waren es noch drei mal so viel. Daher werden sie nun auch auf der Roten Liste aufgeführt und es gelten etwas strengere Vorschriften bei der Jagd…
Neben den fotogenen Seehunden haben wir etwas weiter entfernt noch einige Meerstrandläufer gefunden. Dies ist eine Limikolenart, welche nicht nur in Island brütet, sondern auch an der Küste überwintert. Sie haben sich ein Stück Basalt in einer Felswand als Ruheplatz ausgesucht. Jedoch haben sie die höhe der Wellen etwas unterschätzt und sind bei der nächsten kräftigen Welle geduscht worden.
Dieses Wochenende in der isländischen Wildnis hat nicht nur die Speicherkarten gefüllt, sondern wird mir auch so noch lange in Erinnerung bleiben. Als “Bonus” hat es zudem auch viel Energie und Motivation für die nächsten langen Tage vor dem Laptop gegeben, wenn die Masterarbeit wieder im Zentrum steht.
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