Langsam werden die Berge rund um den Fjord als blaue Umrisse erkennbar und es dämmert leicht. Kaum zu glauben, dass schon kurz vor 10 Uhr ist und ich bereits seit über drei Stunden unterwegs bin. Ich freue mich gerade darüber, nach einem heftigen Schneesturm mit 15m Sicht, endlich ansatzweise etwas von der grandiosen Landschaft in Island zu entdecken.
Auf einmal meine ich im Augenwinkel vierbeinige Gestalten neben der Strasse zu sehen. Sind sie das wirklich? Mein Puls steigt an. Der Blick in den Rückspiegel bestätigt meine Vermutung: Es sind keine isländischen Kühe oder Pferde, sondern wilde Rentiere! Schnellstmöglich parkiere ich den Wagen bei der nächsten Ausfahrt. Langsam laufe ich anschliessend der Strasse entlang zurück. Meine Spannung wächst: Wie scheu sind die Rentiere hier?
Sie scheinen allerdings deutlich weniger von meiner Anwesenheit begeistert zu sein, als ich von ihnen. Kaum erblicken sie mich, drehen sie mir den Rücken zu und suchen das Weite. Hinter einem Graben kann ich mich später dennoch etwas annähern.
Was für Emotionen! Nach drei Tagen auf See auf einer ordentlich schwankenden Fähre (Seekrankheit lässt grüssen), einer nur bedingt gemütlichen Nacht, eingequetscht zw. dem Gepäck im Auto, und herausfordernden Bedingungen auf der Strasse, kann ich endlich die ersten Fotos schiessen – und das erst noch von einem meiner Wunschmotive!
Für eine Weile harre ich noch in meinem «Versteck» aus und versuche die Rentiere zu fotografieren. Nachdem sie wieder weiter wegziehen, setze ich meine Reise ebenfalls fort. Allzu weit komme ich jedoch nicht, denn schon bald entdecke ich wieder Rentiere. Hier gelingt das Anpirschen hinter einem Erdwall noch etwas besser.
Auf dem Weg Richtung nächstes Hostel klart es tatsächlich auf und die Sonne taucht die Landschaft in ein goldenes Licht. Gedanklich bin ich schon am Motive suchen für den Sonnenuntergang. Auf einmal beginnt es jedoch stark zu holpern… Es stellt sich leider schnell heraus, dass es nicht an der Beschaffenheit der Strasse liegt, sondern am Fahrzeug! Der Hinterreifen ist platt. So kann ich gleich testen, ob ich beim «Radwechsel-Kurs» meines Onkels gut aufgepasst habe. Nach verrichteter Arbeit verrät der Blick auf die Uhr, dass ich wohl noch etwas üben müsste, um im Automobilrennsport ins Boxenstopp-Team aufgenommen zu werden 😉 Wobei diese auch nicht zuerst das Gepäck für einen sechsmonatigen Island-Aufenthalt ausräumen müssen, um an das Ersatzrad zu kommen…
Nach einem ereignisreichen Tag schlafe ich im gemütlichen Hostel zügig ein. Nun bin ich ganz froh, ist der Sonnenaufgang so spät und kann ich etwas ausschlafen. Wieder mache ich mich auf die Suche nach den Rentieren. Den ganzen Tag verbringe ich bei stürmischen Verhältnissen bei einer Herde dieser spannenden Tiere. Wirklich nahe komme ich ihnen auch heute nicht, dafür spielt nun das Licht mit.
An der vom Winde verwehten «Mähne» kann man leicht erkennen, dass der Wind ordentlich über die Ebene geblasen hat. Die Rentiere sind jedoch ideal an das arktische Klima angepasst. Ihr dickes Fell hält die beissende Kälte vom Körper fern.
Die Männchen haben grössere Geweihe als die Weibchen, werfen diese allerdings früher ab. Mehr Rentier-Bilder und Hintergrundinformationen gibt es hoffentlich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich nochmals aufbreche, um die Rentiere zu suchen. Für mich ist es nun Zeit gewesen, meinen Weg in Richtung University of Iceland in Reykjavík fortzusetzen.
Dabei mache ich noch an der berühmten Gletscherlagune halt. Sie liegt an einem der zahlreichen Ausläufer des grössten Gletschers von Europa (ausserhalb des Polargebiets), dem Vatnajökull. Die Landschaft ist grandios und beinahe überall gäbe es Motive aufzunehmen. So tue ich mich etwas schwer mit dem Fotografieren und komme kaum aus dem Staunen über die Landschaft heraus. Wo soll ich nur beginnen? Kaum habe ich endlich die Kamera und NiSi Filter für eine Langzeitbelichtung aufgebaut, läuft ein Meerstrandläufer vorbei. Nun beginnt das Abwägen der nächsten Motive wieder von vorne. Nach anfänglichem Zögern wechsle ich das Objektiv und lege mich mit dem Tele auf die Lauer nach dem Meerstrandläufer. Doch diesem scheint in der Zwischenzeit die Lust an einem Shooting vergangen zu sein. Etwas später habe ich mehr Erfolg: Ich warte an der richtigen Stelle, damit ich eine Gruppe Eiderenten vor einem «Eisberg» ablichten kann.
Das Wetter ist nach wie vor wechselhaft – zwischen Schneefällen drückt immer wieder die Sonne durch. Die vielen schwimmenden Eisklötze sorgen für richtiges «Iceland Feeling».
Die Tage sind relativ kurz und schon bald verabschiedet sich die Sonne wieder für die nächsten 19 Stunden hinter dem Horizont.
Auf dem Rückweg versuche ich mich nochmals an den Eis-Bruchstücken am Strand. Nun lenkt mich kein Vogel ab, und ich kann in Ruhe einige Fotos anfertigen bevor es dunkel wird.
Mit vielen Erlebnissen und vollen Speicherkarten im Gepäck geht meine Reise nun weiter nach Reykjavík. Unterdessen haben an der University of Iceland die Vorlesungen begonnen. Nun hoffe ich, dass neben der Masterarbeit und den Vorlesungen noch etwas Zeit für die Fotoprojekte bleibt, und ich euch schon bald neue Bilder präsentieren kann.
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