Rhythmisch tropft der Regen gegen das Tarp. Gerade noch rechtzeitig erreichte ich mein Ziel nach 1‘200 Höhenmetern und konnte meinen Unterstand einrichten. Zwecks Gewichtsoptimierung habe ich das Zelt durch ein extra leichtes Tarp ersetzt, was meinen Rucksack immerhin um knapp 3 kg leichter werden lässt. Wobei ich eine Fehlüberlegung gemacht habe: Beim Essen kann und wollte ich nicht zu viel Einsparen, sodass die Verpflegung nicht in den Rucksack passte. Dadurch durfte ich das Essen in einer grossen Extratasche um die Schulter den Berg hochschleppen. Ursprünglich wollte ich doch mit ebenfalls neuen Wanderstöcken (und Stangen für den Unterstand – eigentlich multifunktional) zügig hochlaufen, doch wegen der Extratasche konnte ich sie nicht einsetzen und musste sie wieder an den Rucksack binden. Mit den Stöcken zusammengefaltet am Rucksack habe ich doch wieder ein paar hundert Gramm mehr Ballast auf dem Rücken… Immerhin erfüllen die Stöcke nun ihren Zweck als Stütze für den Unterstand, unter welchem ich derzeit im Trockenen dem Regen lausche. Das Tropfen des Regens wirkt richtig entspannend. Dennoch werde ich mit der Zeit etwas ungeduldig, schlussendlich habe ich die 1‘200 HM nicht mit dem ganzen Fotogepäck zurückgelegt, um danach auf der Campingmatte zu chillen. Nach einer zweistündigen Pause unter dem Tarp breche ich trotz Regen auf Motivsuche auf, möchte ich noch etwas fotografieren bevor es eindunkelt.
Langsam lässt der Regen nach, doch noch lange stehen ich und die Steinböcke im Nebel. Ihr Fell ist klitschnass. Mit der Zeit lösen sich die dicken Nebelschwaden etwas auf. Das Tal scheint jedoch wie ein Hexenkessel richtig zu kochen bzw. zu dampfen.
Ganz kurz leuchtet die Abendsonne den gegenüberliegenden Berg an, vor dem zwei halbstarke Steinböcke posieren.
Doch schon bald steigen weitere Nebelschwaden aus dem Tal auf und wir befinden uns wieder in einem Whiteout. Als es dunkel wird, verabschiede ich mich von den Steinböcken und mache mich wieder auf den Rückweg zu meinem Unterstand. Als ich die mühsam hochgetragenen Sandwiches vorspeise, höre ich endlich mein eigentliches Motiv der Tour vorbeifliegen. Hoffentlich sind die Mornellregenpfeifer morgens auch noch hier! Voller Zuversicht lege ich mich hin.
Wirklich schlafen kann ich leider nicht, immer wieder wälze ich mich im Schlafsack umher. Die Höhenlage und meine Vorfreude auf den kommenden Tag lassen mich nicht einschlafen. Als ich meine, es sei bald morgens, ernüchtert mich der Blick auf die Uhr: 23:28 – das wird eine lange Nacht! Früh morgens höre ich wieder einige Mornellregenpfeifer im Dunkeln vorbeifliegen. Zwischenzeitlich sind die Sterne am Himmel zu sehen, der Nebel hat sich – zumindest vorübergehend – entfernt. Als es endlich dämmert, starte ich meine Motivsuche. Tausend Meter unter mir liegt die Nebelobergrenze, ein Ausblick zum Geniessen. Anstatt der Regenpfeifer treffe ich schon bald auf Altbekannte vom Vortag.
An den stattlichen Steinböcken kann ich natürlich nur schwer ohne zu fotografieren vorbeigehen, auch wenn ich noch immer keinen einzigen Mornell fotografiert habe. Ganz nach dem Motto “Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach” verweile ich bei den Steinböcken.
Allerdings dauert es nicht allzu lange, bis sich das Nebelmeer von unten hochgearbeitet hat und alles verschleiert. Von oben hat es eindeutig schöner ausgesehen, als von mittendrin. Ich breche auf, um endlich doch noch einen Mornell zu finden. In der dicken Nebelsuppe ist dies alles andere als ein leichtes Unterfangen. Angestrengt versuche ich, die Vögel im Nebel zu entdecken. Als auf einmal ein Stein vor mir davon zu rennen scheint, weiss ich, dass ich letzten Endes gefunden habe, wonach ich gesucht habe. Allerdings muss ich feststellen, dass das Shooting im Regen am Abend nicht spurlos an meiner Ausrüstung vorbeigegangen ist. Auf der Innenseite des Suchers haben sich mittlerweile zahlreiche Kondenstropfen gebildet. Natürlich befinden sie sich schön in der Mitte des Suchers und breiten sich über einen Grossteil des Suchers aus. Somit ist mein Blick durch den Sucher stark benebelt und das Fokussieren und Fotografieren erschwert.
Ab und zu frisst der Wind ein Loch durch die Nebelsuppe. Nun kommt auch ein Mornell schön nahe und ich meine, eine gelungene Serie zu fotografieren. Vor lauter benebeltem Sucher ist mir allerdings gar nicht aufgefallen, dass unterdessen auch die Linse angelaufen ist. Somit sind die Fotos alle für den Papierkorb. Nach Belüftungs- und Wärmeversuchen ist immerhin die Linse frei von Nebel und ich platziere mich, um auf die Mornellregenpfeifer zu warten. Just als sie wieder richtig nahe sind, fliegt eine Wiesenweihe über die Krete, worauf die Mornells verständlicherweise das Weite suchen. Dass die Weihe selbst eine seltene Beobachtung ist, ist mir in dem Moment egal, hat sie doch meine Motive verjagt.
Nach stundenlangem Suchen und warten finde ich gegen Abend wieder ein paar Regenpfeifer. In einer knappen Stunde ist Sonnenuntergang, somit wird das Licht langsam aber sicher gut. Da heute mein Glückstag ist, währt meine Freude nur kurz. Ein Gleitschirmflieger taucht nur knapp über dem Boden auf. Das Resultat könnt ihr euch ja vorstellen: Die Mornells fliegen auf und davon…
Wieder geht die Suche von vorne los. Unterdessen habe ich 14 Kilometer und mehr zurückgelegt und bin mittlerweile echt müde. Ganz kurz vor Sonnenuntergang dann der Durchbruch: Mornell, klare Sicht durch den Sucher und keine Gefahr am Himmel!
Innerhalb weniger Minuten ändert sich die Lichtstimmung dauernd. Die Müdigkeit ist auf einmal wie weggeblasen und ich versuche aus den verbleibenden Minuten mit Tageslicht doch noch einige Fotos herauszuholen.
Im Rahmen der mehrtägigen Tour konnte ich später nochmals Mornells fotografieren. Erste Sonnenstrahlen erreichen den Kopf des Mornell.
Ehrfürchtig beobachte ich die Mornells. Auf ihrem Zug von den Brutgebieten im (hohen) Norden bis zu den Überwinterungsgebieten im Norden Afrikas legen sie deutlich mehr Strecke zurück als ich jährlich zu Fuss. Vor allem fasziniert mich ihr Orientierungssinn und wie sie ganz ohne Google Maps (und selbst ohne Papierkarte) ihre Rastplätze und Überwinterungsgebiete finden. Doch leider werden die Mornells in Afrika gejagt, was zum Bestandsrückgang beigetragen haben dürfte. Dies zeigt auch, wie wichtig internationale Bestrebungen im Naturschutz sind, um Rast- und Überwinterungsgebiete zu schützen. Zumindest hier droht ihnen momentan keine Gefahr.
Auf der Jagd nach Insekten und anderen Wirbellosen können sie erstaunlich schnell über die kargen Flächen sprinten. Am Boden liegend ist jeweils trotz moderner Kameratechnik eine Challenge, die Mornells noch richtig im Bild zu erfassen.
Da die Mornells jedoch jedes Mal schwierig zu finden waren, entpuppten sich andere Motive als eigentlich Favoriten der Mornelltour. Für ein Highlight sorgen aber doch ein paar Vögel: Gerade zu Sonnenaufgang finde ich eine Gruppe Schneehühner.
Die ersten Sonnenstrahlen treffen auf den Berg im Hintergrund und sorgen für eine unglaubliche Stimmung, nach den Tagen mit Nebel und Regen eine richtige Wohltat.
So mache ich mich nach mehreren Tagen in den Bergen wieder auf den Weg in Richtung Zivilisation. Beim Rückweg war das Essen praktisch weg und leider auch fast das Wasser. Als ich es beim Abstieg nach etlichen ausgetrockneten Bachbetten endlich wieder Plätschern höre, werde ich richtig durstig. Das frische Wasser schmeckte ausgezeichnet, noch selten habe ich mich so sehr über ein Bächlein gefreut! Frisch gestärkt nahm ich den letzten Abschnitt unter die Füsse. Ohne Verpflegungstasche unter den Armen konnte ich die Wanderstöcke doch auch noch beim Wandern einsetzen und nicht nur als Stangen für das Tarp. Auf den Flachpartien eignen sie sich super, um schwungvoll etwas schneller voranzukommen. So schwungvoll, dass mein Fitnessarmband prompt meint, ich wäre mit den Langlaufskiern unterwegs gewesen. Ich hoffe doch sehr, dass die meisten LangläuflerInnen schneller unterwegs sind, wie ich zu Fuss mit dem Fotogepäck… Trotz der Stöcke und des strammen Schrittes verpasse ich den Bus um wenige Sekunden. Somit muss ich etwas länger warten, bis ich die 12’000 Bilder sichten und aussortieren kann. Der Grossteil der Bilder ist allerdings unterdurchschnittlich und ich frage mich beim Aussortieren, weshalb ich den Auslöser so oft gedrückt hatte?!
2 Comments
Wunderschöne Bilder vom Mornellregenpfeifer . Gratuliere
Sensationnelle Bilder!!!
Vielen Dank und herzliche Grüsse
Sylvaine