Nach einem gut eineinhalb-stündigen Lauf durch die unberührte isländische Wildnis bin ich nun an meinem Ziel angelangt. So weit ich sehen kann, erblicke ich keine Spuren der Zivilisation. Dass ich während gut vier Stunden weniger als ein Dutzend Vögel (von gerade einmal zwei Arten) sehe, verstärkt mein Gefühl der Einsamkeit und den Eindruck, in einer unwirtlichen Gegend unterwegs zu sein. Nicht nur aufgrund der Abgeschiedenheit steigt meine Anspannung: In wenigen Augenblicken wird sich zeigen, was die stunden- bzw. tagelange Recherche sowie der Aufwand der Anreise wert sind. Beim Joggen mit der Drohne im Rucksack sind immer wieder Zweifel aufgekommen, ob meine Aktion zum Erfolg führen könnte. Fragen über Fragen gingen mir durch den Kopf, während ich ohne Pfad durch die gefühlt endlose Sand- und Steinwüste rannte. Sieht die Landschaft tatsächlich so aus, wie ich es von der Recherche erwarten würde? Wie ist der Wasserstand? Mit einem Surren hebt die Drohne ab und mein Herzschlag erhöht sich nochmals. Gespannt blicke ich auf das Smartphone, welches auch als Fernbedienung dient. Schon bald wird die Schönheit der Schwemmebene aus der Vogelperspektive ersichtlich.
Am liebsten würde ich laut jauchzen vor Freude, dass ich scheinbar einen passenden Ort gefunden habe. Luftbilder von Islands Flüssen faszinieren mich, seit ich sie das erste Mal im Internet gesehen habe. Insbesondere die abstrakt anmutenden Farben und Formen haben mich sofort in ihren Bann gezogen. Ich überlasse euch das Urteil, ob sich der relativ grosse Aufwand für die Fotos gelohnt hat und bin gespannt, ob die Bilder euch ebenfalls in den Bann ziehen können.
Die Weite der Landschaft lässt sich erst im Vergleich mit anderen Objekten erahnen, weshalb das nächste Bild ein Selfie mit der Drohne ist. Findet ihr mich? Wenig erstaunlich, dass ich nasse Füsse in Kauf nehmen musste für diese Fotos. Allerdings ist die Kombination aus nassen Schuhen, gefüllt mit zahlreichen Sandkörnern, nicht gerade ideal, um knapp 1.5h zurück zu rennen. Dabei erschwert der weiche Untergrund das Laufen und immer wieder sinke ich mit dem ganzen Schuh ein.
Die weisse Farbe der Flüsse stammt von der “Gletschermilch”: Der Gletscher trägt kontinuierlich Gesteinsmaterial von seiner Talsohle durch Druck und Reibung ab, welches mit dem Schmelzwasser talwärts befördert wird. Diese Gesteinspartikel sorgen für die milchige Trübung des Wassers, welche auch kilometerweit von der Gletscherzunge entfernt noch zu sehen ist.
Besonders spannend ist es, wenn zwei Flüsse mit unterschiedlicher Dichte an Gesteinspartikel ineinander fliessen. Der rechte Fluss scheint deutlich weniger Partikel zu transportieren wie der Linke.
Das Fliegen der Drohne über den Flüssen ist relativ anspruchslos: Kein Baum, kein Fels oder Schiffsmast, an den die Drohne gefährlich nahe fliegen könnte. Einige der wenigen Herausforderung beim Fliegen besteht darin, den Akkuverbrauch richtig einzuschätzen. Die Akkulaufzeit ist gleichzeitig eine der grossen Schwachpunkte der Drohne: Keine 30 Minuten kann sie fliegen… Eigentlich hätte die Drohne eine Funktion, dass sie bei knapp werdendem Akkustand von alleine zum Startpunkt zurückkehrt. Dummerweise weist sie dann bei der Landung meist dennoch eine stattliche Reserve von ca. 25% auf, was etwas verschwenderisch ist. Mit der Zeit ignoriere ich die Warnung und fotografiere noch weiter, schliesslich möchte ich möglichst viel aus einem Akku bzw. Flug herausholen. Doof nur, dass die Drohne bei ihren Berechnungen Gegen- und Rückenwind nicht richtig berücksichtigt (was v.a. kritisch wird, wenn man die Akku-Warnung kurz ignoriert). So ist es zwei Mal knapp geworden und die Drohne wollte bei wenigen Prozent Akku schon zur Notlandung ansetzen – mitten über dem Fluss! Mit der Zeit habe ich meine eigene Akku-Berechnung etwas optimiert und etwas mehr Sicherheitsmarge eingebaut – letztendlich möchte ich die Drohne nicht in der isländischen Wildnis entsorgen.
Einige Flüsse weisen aufgrund des Eisengehalts in den Sedimenten auch eine orange Farbe auf. Interessante Farbkombinationen ergeben sich bei der Mündung dieser Flüsse in andere Flüsse mit einem deutlich geringeren Eisengehalt.
Für die Fotos der Schwemmebenen aus der Vogelperspektive spielt der Wasserstand eine entscheidende Rolle: Ist der Pegelstand zu tief, bleiben gewisse Muster verborgen, ist er zu hoch, gleicht das Bild einer trüben Suppe von oben. Das Abschätzen des Pegelstandes erfordert viel Erfahrung, welche ich nicht wirklich hatte. So suchte ich einen Fluss zuerst mit Niedrigwasser und dann ein paar Wochen später bei “Hochwasser” auf. Immerhin einige Male klappt es gleich auf Anhieb.
Von Nahem aus der Vogelperspektive gleicht der Fluss Fischschuppen: Je nach Strömung, Tiefe und Fliessgeschwindigkeit erscheint das Wasser eher gelb-trüb oder bläulich.
Das Erkunden der Schwemmebenen aus der Vogelperspektive mit der Drohne bereitete mir viel Freude, insbesondere wenn die Bilder die Erwartungen von der Recherche erfüllen konnten. Diese Serie war definitiv eines meiner aufwändigeren Projekte in Island, insgesamt bin ich knapp 150km mit der Drohne geflogen und habe viele Stunden in die Recherche investiert. Ein Rundflug wäre definitiv einfacher gewesen – das nötige Kleingeld vorausgesetzt. Allerdings fehlt dann die Herausforderung das Selbst-Erarbeiten der Bilder nach dem Motto “Der Weg ist das Ziel”, die Fotosessions selbst sind weniger abenteuerlich und bereiten einem weniger Spass.
2 Comments
Holy icy river cow!!
Hier hast Du ja einen absoluten Volltreffer gelandet! Mir blieb die Kinnlade UNTEN … und das ist bei meiner Züri-Schnurre sehr, sehr selten.
Diese Idee, ihre Realisation, diese Formen, diese Farben, … top notch! Congrats!!
Einziges “?” : Warum bist Du dort a diese Orte gejoggt?? Da hättest Du doch “gehen” können… oder sind die Tage dort oben zu kurz??
Fantastische Bilder! Wirklich wunderschön! Kunst der Natur (und vom Fotografen) vom Feinsten!