Spät am Nachmittag sehen wir endlich die ersten Spuren im Schnee. Anhand der Grösse eines der Trittsiegel muss es einen ziemlich kapitalen Bock darunter haben. Doch wo sind sie nur hin? Noch können wir keine Tiere entdecken. Wir steigen weiter auf und befinden uns schon bald mitten in einer Wolke. Auf einmal entdecken wir weiter unten im Geröll ein paar Steinböcke. Dummerweise befinden wir uns nun bereits mehr als hundert Höhenmeter über ihnen. Sollen wir wirklich nach unten durch das Geröllfeld laufen mit dem ganzen Gepäck auf dem Rücken? Viel Zeit zum Fotografieren bleibt vor dem Eindunkeln so oder so nicht mehr. Etwas unschlüssig laufen wir weiter. Als wir eine etwas flachere Stelle finden, entschliessen wir uns, doch noch zu den Steinböcken hinunterzugehen. Mit 25kg auf dem Rücken und etwas Schnee auf den Steinen ist dies kein leichtes Unterfangen, immer wieder rutschen wir aus. Natürlich bemerken uns die Steinböcke schon von weitem und laufen langsam davon. Hinter einer Geländekante gelingt es uns jedoch näher heranzuschleichen. Einer schaut kurz zu uns rüber. Zum Glück sind wir noch durch das Geröllfeld gelaufen!
Die Zeit läuft leider nicht für uns bzw. rennt uns förmlich davon. Es beginnt bald zu dämmern. Hätten wir doch nur noch etwas mehr Zeit bis zum Eindunkeln! Seit Jahren träume ich von Steinbock-Aufnahmen im ersten Schnee… Nun gilt es jedoch, in den verbleibenden Minuten noch hoch konzentriert mit der Kamera unterwegs zu sein und die Zeit optimal zu nutzen.
Die Steinböcke scheinen sich rasch an uns gewöhnt zu haben, sodass wir immer näher kommen. Schlussendlich steigt die Wolke etwas auf und gibt für einen kurzen Moment den Blick ins Tal frei. Was für eine Szenerie: Hoch oben in den Bergen sieht man die Lichter im Tal.
Glücklicherweise hat sich meine Schwester den Abstellplatz unserer Rucksäcke gut gemerkt. Ich war so fokussiert auf die Steinböcke und das Fotografieren, dass ich die Rucksäcke prompt aus den Augen verlor und sie im Dunkeln in der Geröllhalde hätte suchen dürfen. So können wir uns aber schon bald im Schein der Stirnlampe auf die Suche nach einem flachen Plätzchen für das Zelt machen.
Sobald das Zelt steht, können wir uns dem Abendessen widmen. Unsere klammen Finger sind auch nicht gerade förderlich, dass wir möglichst bald etwas Warmes in unsere hungrigen Mägen bekommen. Als der Kocher endlich läuft, schaue ich ungeduldig immer wieder nach, ob die Suppe schon kocht. Nur leider lassen sich selbst nach Minuten des Wartens nicht einmal kleine Blasen blicken. So dachte ich, ich könnte noch rasch ein paar Bilder vom Zelt anfertigen, anstatt nur hungrig auf den Kocher zu starren. Tja, dumm nur, dass just als ich kurz die Fotos anfertige, die Suppe scheinbar zu kochen beginnt und sogleich überkochen muss. Statt einem Liter befinden sich maximal noch 2 dl drin. Der Rest klebt nun auf dem Stein darunter und im Schnee.
Und da es das Bild nicht einmal in die Auswahl für den Blog geschafft hat, wäre ich definitiv besser beim Kocher geblieben…
Dennoch war es aus fotografischer Sicht für mich bereits nach diesen ersten Begegnungen in der Abenddämmerung ein erfolgreicher Ausflug, denn nicht immer lässt sich das Steinwild blicken. Früher im Herbst habe ich bereits zwei Touren unternommen, ohne auch nur ein brauchbares Foto der Tiere anfertigen zu können. Manchmal lassen sich die Tiere den ganzen Tag nicht blicken oder es benötigt mehrere Stunden, bis die Steinböcke sich aus den Felsen in flacheres und somit etwas Fotografen-freundlicheres Gelände bewegen.
So sehen wir endlich nicht nur die Spuren eines kapitalen Bockes, sondern begegnen tatsächlich einem nicht allzu kleinen Bock aus der Nähe. Langsam läuft er im Schneegestöber auf uns zu.
Die Steinböcke tragen bereits das dicke Winterfell und haben sich ein Fettpolster über den Sommer zugelegt. Damit sind sie bestens für die kalte Jahreszeit gerüstet. Ihr Fell isoliert dermassen gut, dass die Schneeflocken auf dem Fell liegen bleiben. Kein Wunder, können sie auch im Winter im Hochgebirge überleben.
Leider dauert der Schneefall nur wenige Augenblicke, und der Zauber ist schon bald wieder verflogen bzw. aufgetaut. Dafür entdecke ich weiter unten am Hang einen weiteren kapitalen Bock. Er erlaubt mir gerade noch ein paar Fotos, bevor erneut die Abenddämmerung einsetzt.
Vor lauter Freude am Fotografieren der Steinböcke im Schnee ist mir gar nicht aufgefallen, wie weit ich nach unten abgestiegen bin. Nun gilt es wieder zum Gepäck und zum Weg hochzulaufen. Schon bald befinden wir uns wieder im Nebel. Wind kommt auf und Graupelschauer setzt ein. Nicht gerade die bequemsten Bedingungen zum Kochen draussen. Doch nach den Erfahrungen zu Beginn der Tour lassen wir den Kocher für einmal lieber nicht aus den Augen. Ausserdem ist das Benzin fast aufgebraucht, sodass wir besser keinen Tropfen verschwenden. Auch so können wir nicht mehr alle Gänge unseres geplanten Drei-Gang-Bergmenüs kochen und müssen wieder ohne wärmende Suppe in den Schlafsack.
In der Nacht wache ich auf, weil auf einmal etwas gegen mein Gesicht drückt. Die Zeltwand hat dem Nassschnee nicht mehr standgehalten und ist nicht mehr richtig gespannt. Beinahe hätten sich auch meine Bergschuhe noch mit Schnee gefüllt, da der Wind den Hering des Vorzeltes ausgehebelt hat. Mit ein paar Schlägen gegen die Zeltwand lässt sich der Schnee von der Zeltwand schieben. Wie die Landschaft am Morgen wohl aussehen wird? Vor Vorfreude auf die winterliche Stimmung habe ich Mühe, wieder einzuschlafen. Ein paar Stunden später dämpft der erste Blick aus dem Zelt meine Hoffnungen. Noch immer schneit es, und die Sicht beträgt nur wenige Meter. Die Versuchung ist gross, noch länger im warmen Schlafsack liegen zu bleiben und auf das angekündigte Schönwetterfenster zu warten. Wir beschliessen dennoch, langsam unsere Sachen im Zelt zu packen. Zum Glück gerade noch einigermassen rechtzeitig, denn sobald ich angezogen bin, beginnen sich die Wolken aufzulösen. Was für ein Geschenk, diese Atmosphäre zu erleben!
Auf dem Weg zurück in die Zivilisation finden wir die Steinböcke erst viel weiter unten versteckt zwischen den Felsen. Bei dem Wetter ist es mehr als verständlich, dass sie sich einen eingermassen windgeschützten Ort für die Nacht ausgesucht haben. Während wir schon mit den Winterkleidern und -schlafsäcken unterwegs gewesen sind, ist der kleine Wintereinbruch für die Steinböcke und Tiere in den Alpen nur das Vorspiel für die bevorstehenden harten Zeiten im Winter mit nochmals deutlich tieferen Temperaturen und grösseren Schneemengen.
So verabschieden wir uns nach einer sehr erlebnisreichen und intensiven Tour wieder vom Winter und dem Steinwild. Hoffentlich sehen wir sie spätestens nächstes Jahr wieder. Und bis dann sollte ich etwas an meinen Camping-Kochfähigkeiten arbeiten, damit es auch einmal mit der Suppe klappt. Zuerst gilt es aber, den Kocher wieder vom Schmutz des kleinen Malheurs zu befreien 😉
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Da muss man nichts mehr hinzufügen. Einfach wunderschön, Bravo!!!