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Nachdem ich das ganze Gebiet einmal abgelaufen bin, und die Sonne bereits hinter den Berggipfeln untergegangen ist, tauchen wenige Meter vor mir aus den Alpenrosen und Heidelbeeren plötzlich doch zwei Hörner und Ohren auf. Sofort bleibe ich stehen und rege mich nicht. Kurz darauf tritt die Gämse auf den Wanderweg. Sie scheint ungefähr gleich überrascht über die Begegnung zu sein wie ich und zieht sich ein paar Schritte zurück. Ich tue es ihr gleich. Meinen Fotorucksack lege ich im Sichtschutz hinter einer Bodenwelle ab und packe eilig die Kamera aus. Während mein Magen schon etwas knurrt, scheint die Gämse ebenfalls einen ordentlichen Hunger zu haben und widmet sich bereits wieder den leckeren Beeren.
Dabei ist die Gamsgeiss so vertieft ins Fressen, dass sie sich mir mit etwas Glück und Geduld immer weiter nähert.
Während die Gämsen vor dem bevorstehenden Winter noch möglichst viel Fett anlegen möchten, sind andere damit beschäftigt, tausende Arvennüsschen als Vorrat zu verstecken. Ein übermässig dickes Fettpolster würde dem Tannenhäher im wahrsten Sinne des Wortes das Leben schwer machen. Beim Fliegen wäre das Zusatzgewicht lästig. Dafür herrscht bei den Tannenhähern emsiger Flugbetrieb, da sie jeweils nur einige Nüsschen auf einmal im Kropf transportieren können. Unglaublich, dass die Tannenhäher bis zu 90 Prozent der tausenden Nüsschen später wiederfinden – und das selbst unter einer dicken Schneedecke. Ich wäre schon mit einer weit tieferen Erinnerungs- bzw. Erfolgsquote zufrieden…
Ob es an meiner Bewunderung für das Erinnerungsvermögen der Tannenhäher liegt, dass mir die Gämse auf einmal die Zunge rausstreckt?
So beschäftige ich mich lieber mit ihrem Nachwuchs, welcher vor dem herbstlich verfärbten Wald posiert. Aufmerksam mustert mich das Gamskitz.
Ich scheine den Test zu bestehen und es läuft noch näher auf mich zu.
Zu meiner Freude taucht noch eine weitere Geiss mit ihrem Kitz auf. Dieses trägt noch das hellere Sommerfell. Tagsüber bei über 10°C sicher ganz angenehm. Nur nachts wird es vielleicht etwas frisch.
Die Dämmerung schreitet leider rasch voran, dafür ändert die Lichtstimmung im Minutentakt. Im Restlicht gelingen mir noch einige Aufnahmen der Mutter des eben gezeigten Kitz, Bildstabilisator sei Dank. Danach ist es leider schon zu dunkel für das Fotografieren.
Ich fiebere bereits dem Sonnenaufgang entgegen, auch wenn dies noch lange dauert. Stunden später bin ich wieder an der gleichen Location, zartes Rosa am Himmel kündigt einen vielversprechenden Sonnenaufgang an. Die ersten Gämsen entdecke ich noch im Halbdunkeln. Nur leider bewegen sie sich, wenn überhaupt, in die falsche Richtung. Dafür überrascht mich ein Hirschrudel. Sobald sie jedoch Wind von mir bekommen, ist es vorbei mit der Ruhe. Im gestreckten Galopp rennen sie davon. Auf dem noch gefrorenen Boden klingt das schon beinahe bedrohlich.
Mit etwas Abstand folgt der Stier “seinen” Kühen hinterher. In den Wochen während der Brunft vollbringen sie Höchstleistungen. Kein Wunder, sind sie gegen Ende der Brunft gezeichnet von den Strapazen und ihnen hängt die Zunge raus.
An einem anderen Morgen habe ich mehr Glück mit den Gämsen. Die diesjährigen Kitze halten sich meist in unmittelbarer Nähe zur Mutter auf. Daher ist es gar nicht so einfach, etwas Umgebung auf das Bild zu bekommen, ohne gleich Mutter und Kitz zusammen auf dem Bild zu haben.
Während der Himmel bereits richtig glüht und für einen roten Farbschimmer sorgt, wird das Kitz gesäugt. Mit etwas Extra-Energie startet es sich so sicher gut in den Tag.
Für einmal stehen Motiv und ich einigermassen richtig, sodass ich die Gämse vor den verschneiten Bergen im Hintergrund fotografieren kann.
So kann ich nochmals die verschiedenen Mitglieder des Rudels porträtieren.
Die Kleinen wissen sich in Szene zu setzen.
Schon bald ist es wieder Zeit, in das Tal abzusteigen und mit dem Zug zurück nach Zürich und unter die Nebeldecke zu fahren. Auch wenn ich in den letzten Jahren mehr Zeit mit den Steinböcken verbracht habe, so stehen die Gämsen ihnen in nichts nach. Sicherlich möchte ich sie in Zukunft wieder öfter fotografieren. In meiner Masterarbeit über die Verbreitung der Gämsen seit der letzten Eiszeit und der Populationsgenetik im Alpenraum haben wir u.a. herausgefunden, dass die Gämsen sehr ortstreu sind. Daher sollten die Chancen gut stehen, dass ich sie auch nächstes Jahr wieder antreffen werde. Nach vier Jahren ist unterdessen auch eine Zusammenfassung der Masterarbeit auf Deutsch verfügbar und kann hier heruntergeladen werden. Ich hoffe auf jeden Fall, dass ich weniger lange auf meine nächsten Begegnungen mit den Gämsen warten muss 😉
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Einfach sensationnelle Bilder, bravo !!!